Begonnen hat das Ganze wie bei Herder. Mit Volksliedern. Sie begleiten mich schon mein ganzes Leben. Mehr oder weniger. Mit dabei waren aber auch immer komische Gefühle, Skepsis und Misstrauen. So richtig wohl war mir mit diesen „Liedern des Volkes“ selten, obwohl es auch diese schönen Momente gab, wenn z. B. Oma, mir, dem kleinen Kind, noch Volkslieder vorsang und überhaupt, bei Geburtstagen und sonstigen Festen im Verwandtenkreis, noch viel gesungen und musiziert wurde.
Woher diese Ungewissheit kam, war mit schleierhaft. Erst als ich mich viel später mit Volksliedern, und somit auch mit der eigenen Geschichte, intensiver beschäftigte, die gegebene Oberflächlichkeit in ihren vielseitigen realen Gestalten durchbrach, bekam ich eine erste, leise Ahnung eines Begriffes, der schwer belastet, stigmatisiert oder völlig verballhornt nur noch am Rande der Gesellschaft dahinvegetierte. Intellektuell als „von schlichtem Gemüt“ abgetan und nebenbei verantwortlich für die entsetzlichen Schrecken des 20. Jahrhunderts: Romantik, weltfremd und vernunftabweisend, das Dumme und Böse schlechthin.
Davon, dass es eine Zeit mit einer geistigen Revolution gleichen Namens gab, hatte ich nie irgendwo etwas gehört. Schon gar nicht, dass unter Romantik eine geistige Haltung zu verstehen ist. Sie wurde und wird bis heute in bestimmten Kreisen immer noch als rein ästhetische Kategorie dargestellt, was sie eigentlich nie war. Sie war immer eine historische Kategorie. Diese Erkenntnisse kamen aber nicht über Nacht.
Anfang der 70er Jahre fand ich, sprichwörtlich im Sperrmüll auf der Straße, ein kleines Volks-Liederbuch von einem gewissen Hans Breuer. Es hieß der „Zupfgeigenhansl“. Ich war begeistert. Diese Euphorie führte mich zu Thomas Friz, mit dem ich dann in Bibliotheken auf die Suche nach weiteren Volkslieder-Schätzen und „Identitäten“ ging. Mit einem weiteren „e“ machten wir den Hansl zum Hansel und gingen als Zupfgeigenhansel auf große Tourneen durch Deutschland und das angrenzende Ausland.
Es war ein „Zurück in die Zukunft“. Historische Zusammenhänge wurden mir immer klarer. Vor allem, wer an welchem Rad und warum gedreht hatte, um den Lauf der Geschichte in seinem Sinne zu lenken. Das „gemeine“ Volk hatte damit recht wenig zu tun, es fand aber seltsamerweise alles in seinem Namen statt und es durfte natürlich, wie immer, auch den Kopf für alles hinhalten.
Die Sehnsucht, auf eine eigene Kultur und Geschichte zurückgreifen zu können, eine Identität nicht nur per Ausweis zu besitzen, ist wohl die Sehnsucht jedes Menschen auf dieser Welt, unabhängig von Herkunft und Hautfarbe. Denn es gibt keine Zukunft ohne Vergangenheit, wie immer diese auch gestaltet war. Man kann nur wissen wo man hinwill, wenn man weiß, wo man herkommt. Lernen, verändern, verarbeiten, Neues denken, ausprobieren und wenn es sich bewährt, machen: all das gehört dazu. Das geht aber nur, wenn man mit sich selbst im Reinen ist. Es setzt das „einheitliche Ganze“ voraus.
„In uns, oder nirgends ist die Ewigkeit mit ihren Welten, die Vergangenheit und Zukunft.“ Das erkannte schon Novalis vor über 200 Jahren.
Romantik ist für mich die Eigenschaft über den eigenen Tellerrand hinaus zu denken und nicht denselben mit dem Horizont zu verwechseln. Die in unserer Welt weit verbreitete pragmatisch verkürzende Formel „Wahr ist, was nutzt“ sehe ich dagegen als eine Art Denk-Spastik, also das genaue Gegenteil.
Romantik ist eine Geisteskraft, eine Haltung und dazu, frei nach Goethe: der Triumph der Empfindsamkeit. Speziell meine Romantik will dem Pragmatismus des Nutzens auf den Pelz rücken und sämtliche pseudoromantischen Idyllen des Spießbürgertums, z. B. den röhrenden Hirsch und Konsorten, verspotten. Eine Sehnsucht nach Ehrlichkeit, nach Werten und Orientierung, nach einer besseren Welt, die nie aufhört. Denn ein Ende dieser Sehnsucht wäre für mich auch ein Ende des Lebens. – Das ist meine Welt! Was denn sonst?